top of page
Search
  • Writer's pictureMax

#2 Die Zeit rennt

Willkommen auf dem Blog von walk-in-vienna. Dies ist bereits der zweite Beitrag. Kinder, wie die Zeit vergeht! Wussten Sie, dass die Kirchenuhr am Wiener Zentralfriedhof genau das anzeigt? Buchstäblich. Wo andere Uhren Zahlen haben, hat diese Uhr Buchstaben: "T-e-m-p-u-s F-u-g-i-t" - Die Zeit vergeht. Es ist also offiziell. Auf lateinisch.


Letzte Woche gingen wir weit zurück in die Urzeit, um zu verstehen, warum Wien immer auf Platz 1 der lebenswertesten Städte steht. Seitdem ist eine Menge Zeit vergangen. Viele Generationen von glücklichen Wienerinnen und Wienern kamen und gingen, um ihre Lebensbedingungen auf Platz 1 zu genießen. Letztes Mal habe ich die Steinzeitmenschen aus der Linearbandkeramikkultur erwähnt. Hätten Sie gewusst, dass Steinzeitmenschen getöpfert haben? Man würde annehmen, dass Steinzeitmenschen, nun ja, Steine benutzten. Wäre logisch. Ich hätte es angenommen. Aber um ehrlich zu sein, habe ich mir bis letzte Woche nicht allzu viele Gedanken darüber gemacht. Wahrscheinlich liegt das mit dem Töpfern, daran, dass sie neolithische Steinzeitmenschen waren. Keine Sorge, ich fange jetzt nicht wieder an, mit der ganzen Töpferei.

Aber wussten Sie, dass wir hier in Wien viele andere Neostile haben.? Vor allem an der Ringstraße. Das nennt man Historismus und der war im 19. Jahrhundert total en vogue. Wir haben Neobarock, Neoklassizismus, Neorenaissance, Neugotik, Neoromanik und alle Mischformen davon. Wien ist voll davon, weil im 19. Jahrhundert viel vom alten Wien zerstört wurde, um Platz für diese hipperen Stile zu machen. Zum Beispiel wurde die alte Stadtbefestigung abgerissen, die dort stand, wo heute die Ringstraße ist - der "Boulevard des Historismus".

Aber trotz aller dieser Neostile hat man damals nicht in Neolithik gebaut. Das ist schade. Denken Sie einmal drüber nach. Wie cool und Avantgarde wäre das! Ein Palais an der Ringstraße, das wie eine riesige Höhle aussieht. Oder wie ein Kalksteinfelsen mit Höhleneingängen. Wie Wardsia in Georgien. Ich denke, das wäre großartig. Ich denke auch, es wäre gut möglich, dass ich der Einzige bin, der das toll fände. Aber ich mag auch das Hundertwasserhaus. Viele Leute mögen es nicht, um ehrlich zu sein. Wie kann man ein Haus nicht mögen, das nur so vor bunten Farben und Formen und Ornamenten und Bäumen strotzt! Baumbewohner! Ich hätte nichts gegen einen ganzen Boulevard von Hundertwasserhäusern. Einige davon vielleicht sogar im neolithischen Stil. Warum eigentlich nicht? In diesem Sinne bin ich ein eher untypischer Vertreter der autochthonen Bevölkerung. Der Wiener ist notorisch schwer zufrieden zu stellen mit neuen Gebäuden. Fast jedes Gebäude an der Ringstraße wurde heftig kritisiert. Im Parlament konnte man nichts sehen, im Rathaus nichts hören und im Burgtheater konnte man nichts hören und nichts sehen. So hieß es. Und die Oper sei das "Königgrätz der Architektur". Ein bisschen dick aufgetragen, wenn man bedenkt, dass Königgrätz die entscheidende Niederlage der Österreicher gegen die Preußen mit fast 10000 Toten war. Aber ein Teil der Kritik war sicher berechtigt, denn das Burgtheater wurde nur zehn Jahre nach seiner Erbauung komplett umgebaut. Natürlich fürchteten sich die Schauspieler vor dem neuen Gebäude. Neben einem gesunden Misstrauen gegenüber allem Neuen missfiel ihnen vor allem, dass es im Vergleich zu der alten, gemütlichen Bühne, die direkt an die Hofburg angebaut war, so riesig war. Vielleicht haben sie deshalb das "Burgtheater-Deutsch" entwickelt, das zwei Eigenschaften hatte: laut und deutlich! Es ist toll, dass die Schauspieler heutzutage diese kleinen Mikrofone haben! Ich bezweifle allerdings ernsthaft, dass diese "Wolter-sicher" wären. Die berühmte Diva Charlotte Wolter hatte einen so markerschütternden Schrei, dass die Leute ins Theater strömten, nur um ihn zu hören! Es wurde sogar eine Aufnahme von ihrem Schrei gemacht, zur Zeit als auch Franz-Josef zum ersten Mal aufgenommen wurde. Das zeigt, wie wichtig sie war. Sie war aber nicht die Freundin des Kaisers. Das war eine andere Schauspielerin und ein Thema, das einen eigenen Blog-Beitrag verdient.

Zurück zum "lithischen" Aspekt der Ringstraße, den Steinen. Einige von ihnen sind Natursteine, vor allem Kalkstein, der in dem Meer gewachsen ist, das ich letztes Mal erwähnt habe. Die meisten von ihnen sind Ziegelsteine, die ebenfalls aus Millionen von Jahren der Sedimentation entstanden sind. Es war nur eine Frage der Zeit, bis jemand auf die Idee kam, all diese Ablagerungen zu etwas Neuem zu formen, das wir heute Ringstraße nennen. Der Herr der Ziegelsteine war Baron Drasche. Er muss jeden Tag mit einem Lächeln auf den Lippen und einem Lied im Herzen aufgewacht sein. Stellen Sie sich vor, was für glorreiche Zeiten das waren, wenn Sie damals zufällig in der Ziegelbranche tätig waren. Über 50 Jahre lang war Wien eine riesige Baustelle. Goldene Zeiten! Wenn man aber nicht auf der Seite der Eigentümer und Auftraggeber war, sondern auf der Seite der Bauarbeiter, dann sahen die Zeiten etwas weniger glorreich aus. Als Arbeiter hatte man wahrscheinlich nicht so viel Lied im Herzen als Staub in der Lunge. Und eine hohe Wahrscheinlichkeit auf Tuberkulose, die sogar "Wiener Krankheit" genannt wurde. Sie grassierte richtiggehend. Um 1900 waren 20-25 % aller Todesfälle auf diese Krankheit zurückzuführen. In den Arbeitervierteln waren die Zahlen noch höher. Wenn man an das Leben der Arbeiterklasse in dieser Zeit denkt, kommt einem "fies, brutal und kurz" (©Thomas Hobbes) in den Sinn. Baron Drasche führte sogar das "Truck-System" ein, bei dem die Arbeiter nicht in echtem Geld, sondern in "Firmengeld" bezahlt wurden. Merle Travis beschrieb das in seinem Lied "16 tons" - man schuldete seine Seele dem Firmenladen, der teurer und von schlechterer Qualität war als normale Läden. So wurde es damals eben gemacht. Ein Arzt erfuhr von diesen Zuständen, untersuchte sie, schrieb Aufsätze, versuchte zu helfen und wurde schließlich Vorsitzender der Sozialdemokratischen Partei, die nach dem Ersten Weltkrieg viel unternahm, um die Bedingungen für die Arbeiter zu verbessern. Der Arzt hieß Victor Adler und er war der Vermieter eines anderen Arztes, der in der Berggasse 19 wohnte. Die Adresse kommt Ihnen bekannt vor? Ja, dieser andere Arzt war Sigmund Freud. In Wien hängt alles mit allem anderen zusammen. Und jetzt wird auch klar, warum Dr. Freud das Unbewusste in Wien entdecken musste. Es dreht sich alles um Sedimentation!

Tempus fugit - Zeit, das Thema für diese Woche abzuschließen. Aber lassen Sie mich noch eine Sache erwähnen, weil sie so faszinierend ist, und weil Infektionskrankheiten und wie sie die Welt prägen, heutzutage ein so heißes Thema sind. Wussten Sie, dass Tuberkulose und Syphilis in gewisser Weise unmittelbare Ursachen für den Ersten Weltkrieg waren? Aber nein, das führt uns diesmal zu weit. Heben wir uns das fürs nächste Mal auf.


Danke fürs Vorbeischauen und bis nächste Woche!

Bussibaba, Max

7 views0 comments

Comentarios


bottom of page